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Rund zwei Dutzend Vereinsmitglieder wanderten an drei Mittwochabenden unter kompetenter Leitung quer durch die Ostschweizer Eisenbahngeschichte und Bahnhofkultur.
Mittwoch, 9. April 2008: Nach einer nachmittäglichen Betriebsführung in der Firma Stadler Rail in Bussnang, welche die halbe Welt mit thurgauischen Spitzenprodukten der Bahntechnologie beliefert, standen am Abend die Bahnhofanlagen von Bürglen und Oberaach auf dem Besichtigungsprogramm. In Bürglen, an der 1855 eröffneten Thurtallinie, liess die NOB durch Friedrich Seitz 1866/67 ein giebelständig zu den Gelei-sen stehendes Aufnahmegebäude mit Wartsaalanbau errichten, das bei allen Umnutzungen und trotz den Erweiterungsbauten im Westteil der Bahnhofsanlage noch heute den ursprünglichen Gestaltungswillen des Bauherrn erkennen lässt. Ganz anders ist die Entwicklung in Oberaach verlaufen. Die NOB verweigerte der Gemeinde einen eigenen Bahnhof. Erst 1907, Jahre nach der Verstaatlichung der privaten Eisenbahngesell-schaften, erhielt Oberaach ein stattliches Aufnahmegebäude mit Sichtfachwerk und Walmdach im behäbigen Heimatstil. In zahlreichen Umbauten wurde dieses stattliche Gebäude darauf sukzessive all seiner architektonischen Zierden beraubt und steht heute – nach einer Verschiebung der Perrons um ca. 600 Meter ostwärts – heruntergekommen und nutzlos neben den Geleisen.
Mittwoch, 4. April 2008: Bahnhofanlagen von Weinfelden und Kehlhof. Architekt des kleinstädtisch wirkenden Weinfelder Bahnhofs war Jakob Friedrich Wanner, der zuvor schon die Bahnhöfe von Winterthur und Zürich entworfen hatte. Auch als Weinfelden 1911 durch die Eröffnung der Mittel-Thurgau-Bahn zum regionalen Knotenpunkt avancierte, vermochte das in seiner klaren Formensprache überzeugende Gebäude den gesteigerten Ansprüchen zu genügen. Erst 1970/71 erfolgte ein Erweite-rungsbau (WC-/Dienstgebäude) durch den Pionier des modernen Bahnhofbaus Max Vogt. Der Rohbetonbau wurde in der Zwischenzeit nicht zu seinem Vorteil mit allerlei An- und Umbauten verändert, und die WC-Anlage ist im Zeichen von Serviceabbau der SBB und Vandalismus (letzteres Phänomen folgt in der Regel dem erstgenannten auf dem Fuss) nach 18 Uhr verriegelt. Dafür riecht’s dann in den schönen neuen Unterführungen wie im Pissoir. Der insgesamt noch gut erhaltene Bahnhof Kehlhof ist ein typischer Vertreter der rustikalen Kleinbahnhöfe der MThB zwischen Wil und Kreuzlingen. Der funktionsgerechte Zweckbau musste seinerzeit noch gewissen Ansprüchen von Geschmack und Stil genügen, was von den beiden Quasi-Villen im Denver-Dallas-Stil östlich der Bahnhofanlage beim besten Willen nicht behauptet werden kann …
Mittwoch, 17. September 2008: Bahnhofanlagen von Mannenbach-Salenstein und Etzwilen. Im Bahnhofgebäude von Mannenbach, 1885 als provisorisches Güterstationsgebäude entworfen, 1919 aufgestockt und 1947 durch einen Wartsaal-Anbau erweitert, spiegelt sich auch die wechselvolle Geschichte der Seelinie. 1993, während der Diskussion um die Stilllegung der Linie, vom Abbruch bedroht, wurde das Haus 1994 im Baurecht an die Künstlerin Heidi Beerli verkauft, die es fachgerecht restaurierte. Ein Denkmal der Eisenbahngeschichte ist die Anlage des Knotenpunktes Etzwilen – einst Drehpunkt des gebauten und des erst geplanten Netzes der 1877 zusammengebrochenen Nationalbahn. Die einst immense Güterbahnhofanlage mit ihrem nun funktionslosen klein-städtischen Empfangsgebäude und einer typischen Bahnhofstrassenkulisse aus der vorletzten Jahrhundertwende erschien uns in der fahlen Herbstsonne wie die buchstäbliche „Endstation Sehnsucht“.
Mit Prosecco und Salzgebäck schlossen Verena Rothenbühler und Bettina Hedinger, die uns fachkundig und kurzweilig durch 150 Jahre Eisenbahngeschichte geführt hatten, ihren Zyklus. Wer mit dem Zug nach Hause fuhr, entfernte sich übrigens in modernsten Stadler-Rail-Leichtfahrzeugen von diesem leicht morbiden Mekka der Eisenbahnnostalgie.
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