Historischer Verein des Kantons Thurgau

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Zyklus 2022: "Kopf, Herz, Hand" - Schule und Bildung vor Ort

Der Zyklus wurde von Verena Rothenbühler organisiert.


15. Juni 2022
Die Heilpädagogische Schule Mauren liegt etwas versteckt im Dorf – jemand bemerkte erstaunt, dass nicht einmal ein Wegweiser vorhanden sei. Trotzdem kamen alle angemeldeten Mitglieder rechtzeitig zum Treffpunkt vor der Schule, wo sie von Verena Rothenbühler, der Organisatorin des diesjährigen Zyklus', und den beiden Referentinnen an diesem Abend, Iris Hutter und Miriam Edmunds, erwartet wurden. Die beiden Autorinnen der preisgekrönten Institutionsgeschichte über die Schuel Mure hatten sich bereit erklärt, vor Ort von ihren Erkenntnissen aus dem Buchprojekt zu berichten.
Wie bei anderen gesellschaftlichen Themen erkannte die Thurgauische Gemeinnützige Gesellschaft Ende des 19. Jahrhunderts auch das Bedürfnis für eine heilpädagogische Schule und schritt zur Tat. Unter dem ersten Hausvater Paul Oberhänsli entwickelte sich ab 1895 durch den Einsatz teils langjähriger Hausmütter und Hausväter mit ihrem Personal eine heilpädagogische Schule, die schnell an Kapazitätsgrenzen stiess, was sich im Lauf der Zeit noch einige Male wiederholen sollte und den richtigen Riecher der Gründerväter für den Bedarf nach einer solchen Bildungseinrichtung bis in die Gegenwart beweist.
Die Referentinnen verwoben Geschichten über das Personal und ehemalige Schülerinnen und Schüler mit Aspekten der Gebäudegeschichte und zeigten, wie sich der erste Bau, der aus der Konkursmasse eines Stickereibetriebs stammte, über verschiedene Ausbau- und Erweiterungsschritte zum heutigen, beeindruckend weitläufigen Areal entwickelte. Wer nach dem Rundgang noch nicht genug erfahren hatte oder erst auf den Geschmack gekommen war, konnte sich gleich vor Ort das Buch über die Geschichte der Schuel Mure kaufen.


22. Juni 2022
Der Abend in Kefikon war ausgebucht, und die Mitglieder wurden sehr zuvorkommend empfangen: Neben dem Schlossherrn, Manfred Meyer-Bach, standen seine Gesamtleiterin, Susanne Ackermann, und die Schulleiterin, Sarah Maij, bereit, um den Zyklusteilnehmerinnen und -teilnehmern ihre Schule zu zeigen. Unterstützt wurde das Team durch unser Mitglied Pius Lang, der in den 1970er Jahren als Lehrer hier gearbeitet hatte und den einen oder anderen Hinweis auf die früheren Verhältnisse geben konnte.
Nachdem Susanne Ackermann einen ersten grossen Bogen zur Schlossgeschichte geschlagen hatte, schlug sie einen weiteren Bogen von den Anfängen der Schule als Landerziehungsheim im Jahr 1906 bis zur Gegenwart. Heute werden von der Schule Schloss Kefikon Kinder und Jugendliche aufgenommen, die unter verschiedenen psychischen Krankheitsbildern wie Traumatisierungen, Bindungsstörungen, Autismus, Suizidalität usw. leiden und ein spezielles schulisches Umfeld benötigen.
Nach der theoretischen Einführung konnten sich die Mitglieder auf zwei Rundgängen ein Bild der Anlage machen: Die eine Runde führte durch den Park und die Schulräume, die andere in die Wohn-, Aufenthalts- und Büroräumlichkeiten im Schloss. Nichts kam zu kurz, denn auch für die Rundgänge galt: das war ein grosszügiger Empfang der Zyklus-Teilnehmenden. Passend dazu gab es zum Schluss einen Apéro im Schlosskeller, bei dem sich die Mitglieder untereinander und mit den Exponenten der Schule austauschen und gleichzeitig Gebäck, Gemüse- oder Fruchtspiessli essen und ein Glas Wein trinken konnten.


29.06.2022
Viele Erfahrungen mit dem Aufenthalt im Welschland kamen an diesem Abend zur Sprache. Zunächst berichtete Verena Rothenbühler aus der Geschichte der Aufenthalte in der Fremde und liess die Frage offen, ob die Aufenthalte an französischen Höfen und jene angehender Textilkaufleute in anderen Handelsstädten als Vorläufer der Welschlandaufenthalte gelten sollen. Engt man das Phänomen ein auf Mädchen, die nach der Schulzeit für eine beschränkte Zeit als Haushälterinnen oder Kindermädchen im Welschland leben und lässt dabei ausser Acht, dass auch welsche Mädchen gleiches in der Deutschschweiz und Deutschschweizerinnen Aufenthalte im Tessin machten, dann zeigt sich, dass nach Anfängen im 19. Jahrhundert für Töchter aus gutem Haus vor allem im 20. Jahrhundert viele Mädchen ins Welschland gingen und dies bis heute tun.
Wie dieses Bildungsgefäss gefüllt wurde, darüber berichteten Ruth Krüsi und ihre Tochter Martina Erni-Krüsi im Gespräch mit Julia Kühni sowie Anna Susanna Keller-Forster und ihre Tochter Anna, indem Ausschnitte aus ihrem Briefwechsel aus der Zeit des Ersten Weltkriegs von Julia Kühni und Verena Rothenbühler vorgetragen wurden.
Die Erfahrungen in der Fremde waren vielfältig und unterschieden sich natürlich auch über die Zeiten, doch bestimmte Themen tauchen immer wieder auf: die einen hatten viel Arbeit und fühlten sich ausgenutzt, andere tauchten ein in ein komplett anderes Leben als Gesellschafterinnen; die einen fühlten sich verloren in der französischen Schweiz und hatten Heimweh, andere genossen die Freiheiten; die meisten dürften gute Sprachkenntnisse mit nach Hause gebracht haben und das Gefühl, gereift zu sein, während die eine oder andere einfach froh war, wieder zu Hause zu sein.
Es war ein vielfältiger Abend und ein gelungener Anlass, bei dem sich die Erfahrungen der Gäste, die schriftlichen Quellen und die Berichte aus dem Publikum gegenseitig ergänzten und so ein vielfältiges Bild dieses weiblichen Bildungserlebnisses vermittelten.


Urban Stäheli

  • Mittwoch, 15. Juni 2022, 17.30 bis 18.30 Uhr (Mauren, Heilpädagogische Schule)
  • Mittwoch, 22. Juni 2022, 18.00 bis 19.00 Uhr (Kefikon, Schule Schloss Kefikon)
  • Mittwoch, 29. Juni 2022, 18.00 bis 19.00 Uhr (Frauenfeld, Staatsarchiv)

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